Logo Weltwoche Ausgabe 16/02
strich   strich   strich
spacer
Login für Abonnenten
spacer
Aktuelle Ausgabe
Inhaltsübersicht
Ausland
Schweiz
Wirtschaft
Kultur
Wissen
Leben heute/Reisen
Kommentare/Kolumnen
Spezial
Leserbriefe
spacer
Net-Xtra
Linkthemen
Moskito Movies
Internationale Presse
Debatten
Bookmarks
spacer
Interaktiv
Foren
Gästebuch
Umfrage
Leserbriefe schreiben
Newsletter
Digitale Agenda (PDA)
Mobiltelefon (WAP)
spacer
Service
Abonnemente
Online-Abo
Anzeigen
Impressum/Kontakt
Kioskverkauf Ausland
Startseite setzen
spacer
Marktplatz
Leserangebote
books.ch
spacer
Archive
 
Forum - Artikel verschicken - Artikel drucken - Artikel auf PDA 
Kultur
Verstehen Sie Dylan?
Von Philipp Tingler

Mythos Bob Dylan: Was dran ist an der Stimme einer Generation

Unlängst war ich zu Besuch bei meiner Tante Doris, APO-Veteranin der ersten Stunde. Doris erzählte mir von der Lebenspartnerin ihres Sohnes Nick und fügte hinzu, was für eine irre interessant aussehende Frau das sei. «Ist es die hier?», fragte ich und nahm ein Bild vom Schreibtisch meiner Tante. «Nein», antwortete Doris, «das ist Bob Dylan.»

Dass Bob Dylan immer mehr aussieht wie eine kleine verschrumpelte Frau, wird nie erwähnt. Ansonsten ist über diesen Künstler schon jede Menge gesagt worden, in der Regel von Kultursachverständigen, die selbst gern Künstler wären. Ich kann mich also kurz fassen: Bob Dylan ist knapp 61 Jahre alt. Er wurde in den frühen sechziger Jahren mit politischen Protestliedern bekannt. Inzwischen hat Herr Dylan über 600 Songs verfasst und diverse Auszeichnungen eingestrichen, darunter einen Oscar und den Ehrendoktor der Universität Princeton. Er hat angeblich mit Henry Miller Tischtennis gespielt und die Beatles mit Haschisch bekannt gemacht. Er hat sich als Buchautor, Schauspieler und Regisseur versucht. Seine Haare schreien nach einer Kurspülung. Seine Freundin Joan Baez nannte ihn «the unwashed phenomenon».

«Durch seine Karriere zieht sich eine Abfolge von Provokation, Rückzug und Wiederkehr», schreiben die so genannten Rocktheoretiker über Bob Dylan. Damit meinen sie, dass Herr Dylan ein paar Kehrtwendungen hinter sich hat und irgendwie schwer zu fassen ist. Er ist im Laufe von vierzig Jahren u.a. als Bürgerrechtskämpfer, als christlicher Erlösungsprediger und als bekennender Zionist aufgetreten. Oft wird von der Maskenhaftigkeit seiner Erscheinung gesprochen. Diese sei nicht bloss ein Mittel zur Prominenzsteigerung, sondern eine Spiegelung von Dylans Kreativität. Woran sich faszinierende psychologische, poptheoretische und kulturgeschichtliche Deutungen knüpfen lassen. Die unendliche Analyse von Bob Dylans «schillernder Selbstverhüllung» gipfelt in Erkenntnissen wie: «Er hat keine Ahnung, was er eigentlich meint.»

Die meisten Artikel über Bob Dylan sind damit befasst, die ambivalente Haltung ihrer Verfasser zu Herrn Dylan nachzuzeichnen. Denn Ablehnung wäre zu einfach und Bewunderung zu unkritisch. «Und man kann Bob Dylan nicht gleichgültig gegenüberstehen.»

Falsch. Ich kann nichts dafür, aber meine Teenie-Jahre fielen, rocktheoretisch gesprochen, in die «yuppiefizierten Achtziger», und da beschäftigte man sich mehr mit Äusserlichkeiten wie Nenas puscheligen Achselhöhlen, und daher war mir Bob Dylan ziemlich piepe, und das sollte im Laufe meines oberflächlichen, konsumorientierten Lebens auch so bleiben. Deshalb bin ich irre unvoreingenommen. Vollkommen unbelastet stand ich letzte Woche an der Kasse mit meiner ersten Bob-Dylan-CD: «Bob Dylan – The Ultimate Collection» («aus der Funk- und TV-Werbung»).

Natürlich versteckte ich die ein bisschen, man will ja nicht als alter Hippie-Knacker oder verkrachter Globalisierungsverlierer gelten. Aber ich hörte die CD noch nicht. Erst las ich noch ein bisschen. Bob Dylan ist immerhin als «geradezu archaische Verkörperung des Dichters» beschrieben worden, ja gar als «grösster Dichter aller Zeiten» (Grödaz). 1996 hat ihn Gordon Ball, Professor am Virginia Military Institute, für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Immer wieder ist die Rede davon, wie beziehungsreich Herr Dylan sein Material aufbereite, wie er in seinen Texten ein Gesamtwerk erschaffe, unter Rückgriff auf Volkslieder, biblische Psalme, ägyptische Hieroglyphen und die Dialoge des Film noir, unter Einbezug von Alltagsphrasen und Strassenschildern, Kinderreimen, Neoninschriften, Humphrey-Bogart-Zitaten, Volksweisen und der Lyrik von Arthur Rimbaud. «Ganz weit im Hintergrund sind auch die mündlichen Traditionen Afrikas erhalten geblieben», weiss die Zeit. Zum Glück! Wir hatten schon Angst, die wären verloren gegangen! Dazu werden Dylan-Zeilen zitiert wie «Wir leben in einer politischen Welt / unter dem Mikroskop / du kannst überall hinreisen und dich dort aufhängen / Stricke gibt’s genug» – vom Rezensenten begeistert begrüsst als Beleg für die «programmatische Zusammenführung des Prinzips Hoffnung und des Realitätsprinzips Verzweiflung». Dann hören wir ein Klingelzeichen. Die Bullshit-Skala hat ihren Maximalausschlag erreicht. Aber vielleicht bin ich bloss zu blöde. Vielleicht entgeht mir der «komplexe Subtext», «der ans Licht strebende gnostische Text» und so Zeugs.

«Kojote im Stacheldraht»

1987 singt Bob Dylan mit Michael Jackson ein Duett zum 55. Geburtstag von Elizabeth Taylor. Mit Michael Jackson hat Bob Dylan vor allem eins gemein: Es ist leicht, sich über ihn lustig zu machen. Er ist keine Schönheit und hat keinen Glamour. Dafür finden manche, er sei die Stimme einer Generation. Dass diese Stimme hübsch klinge, behauptet hingegen niemand. Oft zitiert wird die Wendung vom «Kojoten im Stacheldraht»; Bob Dylans «nasales, ammoniakscharfes» Organ sei «halb Bellen, halb Werksirene». Der Metaphernreichtum kennt keine Grenzen. Das Wohlwollen auch nicht. Bob Dylans Stimme, «in deren brüchiger Textur alle Farben des Herzens irisieren, ist von magischer Präsenz», schreibt die Neue Zürcher Zeitung, mein Lieblingsblatt. Rosamunde Pilcher hätte das nicht schöner sagen können!

Denn ebenso leicht, wie man ihn ridikülisieren kann, lässt sich Herr Dylan auch vereinnahmen. Daran ist er selbst nicht unschuldig. Am 20. Februar 1991 erhielt Bob Dylan bei der Grammy-Verleihung einen Lifetime Achievement Award für sein Lebenswerk. Es war Golfkrieg, Herr Dylan kam auf die Bühne und sang, wie billig, «Masters of War» aus dem Jahre 1963, seinen mutmasslich unerbittlichsten, schärfsten Antikriegssong (andere Sachverständige halten dessen «plumpe, romantische» Verse allerdings für «peinlich naiv»). Und ein paar Poptheoretiker überschlugen sich vor Jubel, weil für sie diese Darbietung ausdrückte, dass «das wirkliche Leben anderswo stattfand». Nun war es allerdings sehr einfach, gegen den Golfkrieg zu sein und sich dabei überlegen vorzukommen. Es ist ebenfalls sehr einfach, den Auftritt von Bob Dylan bei der Inauguration von Bill Clinton 1993 mit dem Auftritt des Latino-Schlagersängers Ricky Martin anlässlich der Amtseinführung von George W. Bush zu vergleichen und in Letzterem «eine fröhliche Hymne an die Gedankenlosigkeit des beginnenden 21. Jahrhunderts» zu erkennen. In der Konsequenz heisst das: Wenn Ricky Martin vor Herrn Bush auftritt, ist dies entsetzlich, wenn der «konservative Rebell» Bob Dylan, wie dreieinhalb Jahre zuvor, vor dem Papst singt, dann ist das irgendwie interessant.

«I’m just a guitar player» – vielleicht sollte man das mal für bare Münze nehmen. Die CD ist gar nicht so schlecht. Okay, ein paar neuere Sachen klingen wie Middle-of-the-road-Dire-Straits-Horror, und «Not Dark Yet» könnte Bruce Springsteen besser singen, und, okay, natürlich ist die Mundharmonika ein furchtbares Instrument, und natürlich ist viel Blues dabei, eine Stilrichtung, die der New Musical Express unlängst als «the most boring music ever» kennzeichnete. Trotzdem gefällt mir der «Subterranean Homesick Blues». Und heute summe ich den ganzen Tag «Like A Rolling Stone» vor mich hin. Und wenn Bob Dylan vielleicht auch bloss berühmt wurde, weil in den frühen Sechzigern gerade Bedarf an Protestliedern bestand, so muss man ihm doch Kredit geben für das, was er machte, als er jung war. Und vielleicht ist er wirklich ein konservativer Rebell, ein einzelgängerischer Antiheld, dem Medien und Kommerz nicht so wichtig sind. Solche folgen nicht nach. Oder? Die Antwort weiss, wieder einmal, nur der Wind.

Bob Dylan singt am 21. April um 20 Uhr im Zürcher Hallenstadion


top nach oben Artikel verschicken -  Artikel drucken - Artikel auf PDA


Forum > Ihre Meinung > Neuen Beitrag erfassen

 
Archiv-Suche 
 
 
News 
  Ab 8.Mai:
«Die Weltwoche» in Magazinformat
 
  Ab sofort:
Alle Artikel auf Ihren PDA
 
Umfrage 
  Verdient es Sepp Blatter, als Fifa-Präsident wiedergewählt zu werden?
 - Stimmen Sie ab
 
Debatte 
  Monopole: Wer hierzulande für überhöhte Preise sorgt.
 
  Mord auf dem Bödeli: Die Geschichte des ersten Mordes in der rechtsextremen Szene der Schweiz.
 
  Die PISA-Studie: Wie kann sich die Schweiz verbessern?
 
--- Anzeige ---
Abo 
  Abo bestellen!

--- Anzeige ---