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Mittwoch, 17. April 2002


Hier sang ein Nobelpreisträger

Bob Dylan verzaubert 7500 Fans in der Berliner Arena

Eine der vielleicht schönsten Geschichten von Bob Dylan geht so: Einer der drei Könige stellte einem gewissen Frank die Frage, ob er der Schlüssel zu Dylans neuester Schallplatte sei. "Stimmt " , sagte Frank, "das bin ich. " "Nun denn " , sagte der König ziemlich erwartungsvoll, "könntest du uns bitte den Sinn erschließen? " Frank, der die ganze Zeit mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl gelegen hatte, riss nun beide Augen weit auf wie ein Tiger. "Und wie weit möchtet ihr da wohl hinein? " , fragte er, und die drei Könige sahen einander an. "Nicht allzu weit, nur gerade weit genug, dass wir sagen können, wir waren drin gewesen " , sagte der erste Häuptling.

von Gottfried Blumenstein

Das können nun immerhin 7500 Berliner und zahlreiche Gäste von außerhalb. Sie waren alle drin in der ausverkauften Arena, etliche ganz weit vorn an Bobs Lippen hängend, andere in gebührendem Abstand. Und sie erlebten das möglicherweise beste Konzert, das Bob Dylan jemals in Berlin gegeben hat. Und Dylan war schon häufig hier gewesen. Wir erinnern uns, dass gerade Berlin für Dylan immer ein besonderes und manchmal auch ganz heißes Pflaster war. Geradezu berüchtigte "Qualitäten" zeitigte das 1978er Konzert in der "selbständigen politischen Einheit West-Berlin " . Da hatte sich die linke Schickeria vorgenommen, Dylan fertigzumachen ­ und man kam mit Tomaten, Eiern und Farbbeuteln ins Konzert und entledigte sich johlend all diesen Unrats. 1987 hatte die FDJ zum Konzert geladen, über 100000 euphorisierte DDR-Menschen kamen in den Treptower Park und erlebten einen alkoholschwangeren Grottengig des Meisters, der die Stimmung schwer niederdrückte. Vielleicht auch besser so, denn damals war die DDR für den massenhaften Sturm auf die Mauer noch nicht vorbereitet, das wäre nicht so glimpflich abgelaufen wie zwei Jahre später. Wie auch immer, das ist Geschichte. Dylan ist mittlerweile Nobelpreiskandidat für Literatur, im nächsten Monat wird er 61 Jahre alt, und er steht derzeit im Zenit seines Könnens. Fast jeden Tag bis in den Sommer hinein wird er auf der Bühne stehen. Er und seine Band werden in den ersten Minuten die Lage checken, man wird ohne viel Federlesens in die Saiten greifen, und los geht das Konzert. Wenn die Atmosphäre gut ist, wird er sich reinhängen und das Beste geben. Wenn nicht, wird er sich eher zurücklehnen und den Dingen ihren schaumgebremsten Lauf lassen. Dylan-Konzerte werden spontan, so oder so, entschieden, beruhen auf Gegenseitigkeit. Wer gibt, der bekommt auch was zurück. Und das Arena-Publikum hatte jede Menge zu geben, da war sehr viel Herz im Spiel, aber auch reichlich Verstand und eben Kennerschaft. Man erkannte die Songs, obwohl sie gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit verbessert wurden. Etwa das großartige "Visions of Johanna". Auch "The Wicked Messenger", "Boots Of Spanish Leather" oder "Masters of War” kamen meilenweit vom "Original " voll zu Geltung. Bei "All Along The Watchtower " , das mit einem leichten Latino-Step daherkam, flippten wir regelrecht aus. Der Sound war exzellent (in einer Halle, die akustisch ansonsten eher dürftig ist). Unbändige Spiellaune aller Beteiligten beherrschte die Szene. Es gab keinen Bühnen-Firlefanz, Dylan lugte nur verschmitzt hinter seinem Hut vor. Der neue Drummer drosch sich die Seele aus dem Leib, die beiden Gitarrenzupfer übertrafen sich selbst, und der Bassist setzte ein ordentlichen Fundament hin. Dylans Stimme war in den tiefen Regionen fast gebrochen, in der Höhe aber ziemlich standfest und insgesamt eine schöne Höranstrengung. Die Song-Auswahl war in jedem Fall eine Offenbarung, war wirklich was für Kenner und nach sage und schreibe zweieinhalb Stunden war Schluss. Das war möglicherweise das definitiv längste Dylan-Konzert, das je in Deutschland stattgefunden hat. Und Bob Dylan hatte zudem auch noch den Hammer ausgepackt. In der Zugabe kam "Like a Rolling Stone" herangeflogen, auf zartfühlenden Engelsschwüngen. Im Ausdruck nicht so gemein und hasserfüllt wie jene Version des legendären 1966er Manchester-Konzerts (jahrzehntelang als Raubkopie hin und hergeschoben, mittlerweile offiziell veröffentlicht), sondern eher zurückhaltend und defensiv. Unsereiner swingte sich schon ein bisschen genussvoll ein in diesen wundervollsten aller Dylan Songs und erwartete frohgemut den Refrain ­ der kam natürlich. Aber gleichzeitig gingen langsam die Spots auf der Bühne an, drehten sich zum Publikum hin und strahlten unsereinem schließlich brutal auf die Linse. Ein alter Theatertrick das, den man üblicherweise müde belächelt, der hier völlig unvorbereitet einschlug. So wurden wir insgesamt dreimal im lichterlohen Scheinwerferspot geradewegs, ohne Möglichkeit, sich feige wegzuducken, gefragt: "How does it feel?". Tja, wie fühlen wir uns denn, so einsam und allein wie ein rollender Stein? Ein gute Frage: Die Frau ist mit einem Möbelverkäufer durchgebrannt, wir selber hängen an der Flasche und versaufen das letzte bisschen Verstand. Unsere lieben Kleinen ziehen wohlstandsverwahrlost durch die Straßen und knacken Autos just for fun. Unsere Chefs sind geldgierige Knalltüten, die Regierenden sind entweder schleimige Scharlatane oder untalentierte Kriminelle oder am besten gleich alles zusammen und posieren eitel am Abgrund vor laufenden Kameras. Wie sollen wir uns schon fühlen, wenn alles den Bach runtergeht? Ganz ehrlich, Bob, nicht so besonders. Das schlussendliche Ende war mit "Highway 61 Revisited " stimmungsmäßig ein bisschen aufmunternd, zu spät. Da standen den Besten von uns längst die Tränen in den Augen, die Verzweiflung im Gesicht und das nahe Weltende auf der Stirn. Danke Bob, dass du uns daran erinnerst hast.

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