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Immer auf Achse: Bob Dylan in
Deutschland
Immer auf Achse: Bob Dylan erfindet in
Berlin den Blues neu
Dylan und der Blues: Seit Jahren schöpft "His
Bobness" aus dem Mythenvorrat der amerikanischen Volksmusik der dreißiger
und vierziger Jahre. Und das nicht nur aus demonstrativer Gleichgültigkeit
gegenüber allen zeitgenössischen Moden. Bob Dylan scheint sich heute jeder
Zeitgenossenschaft verweigern zu wollen. Sein vorsätzlicher Atavismus, das
Eintauchen in längst Vergangenes, das Verschwimmenlassen von Tradition und
Zeitlosigkeit, das sind prägende Stilmerkmale geworden.
Schon immer
war der Blues eine "Musik über Musik". Durch die orale Form der
Überlieferung werden die alten Geschichten von Liebe, Betrug und Tod, von
Elend, Wissen und Erlösung immer wieder neu, immer wieder anders erzählt.
Der einzelne Bluesmusiker formt das Gehörte in seinem eigenen Sinn um,
läßt etwas von der akustischen Vorlage weg, fügt anderes hinzu. Auch in
dieser Hinsicht liefert der Blues für Bob Dylan heute eine Art "role
model" für die Interpretation des eigenen Werks. Denn auch "Zimmermann der
Maskenmann" singt seit Jahren seine alten Songs in immer neuen, oft
irritierend verfremdeten Versionen. So wie ihm das Leben als "chaotisches
Kaleidoskop" erscheint, sind ihm auch die Bestandteile der eigenen Lieder
nur variable Mosaiksteinchen seines "work in progress".
Und noch in
anderer Hinsicht wurde Dylan zum Prototypen eines Bluesmusikers: Blues war
von Anbeginn an eine Begleitmusik der Vagabunden. Der fahrende Sänger, der
sich an jedem Ort rast- und ruhelos neu erfindet, der trotz verzweifelter
Flucht- und Suchbewegungen nie bei sich ankommt und die Heimatlosigkeit
zur Existenzweise erhebt - dieses zentrale Bluesmotiv ist längst auch zur
Signatur von Dylans Leben geworden. Nicht nur nomadisiert er mit
verstörender Stimme durch seine Lieder, seine seit fünfzehn Jahren
währende "Never Ending Tour" rund um den Globus scheint keine Grenzen und
kein Ziel mehr zu kennen. "Ich fühle mich wie ein Mensch, der permanent
durch die Ruinen von Pompeji wandern muß." Dylan macht einfach immer
weiter, weil er nur in seiner riskanten Stimmperformance auf der Bühne -
egal wo diese steht - für Momente so etwas wie künstlerische Ruhe und
Gelassenheit zu finden scheint. Wer ihn jetzt in der Berliner "Arena",
einer tristen Mehrzweckhalle am Spreeufer, erlebte, traf einen
entschlossenen Stoiker. Im etwas stutzerhaft wirkenden Look eines
Country-Gentleman dirigierte er sein Quintett souverän durch alle Untiefen
von wahren Klischees und falschen Sentimentalitäten.
Mit
grummelnder Grabesstimme zerdehnt er gleich zu Konzertbeginn erst einmal
genüßlich einen Gassenhauer wie "The Times They Are A-Changin'". Auf
solider Zweitonbasis mit immer wiederkehrenden Oktavsprüngen im Gesang
dementiert er die hoffnungsfrohe Hymne in ihrem Optimismus und macht
daraus einen würdevollen Talking-Blues. Immer wieder zielen die tastenden
Einleitungen der Songs scheinbar ins Nirgendwo. Erst langsam
kristallisieren sich die Strukturen der Stücke aus den
Akkordverschachtelungen von drei Gitarren heraus. Schnell wird im Berliner
Konzert klar, daß Dylan an diesem Abend seinem Klangideal, das er kürzlich
mit "electronic grid" umschrieb, nahekommt. Sein Zusammenspiel mit den
langjährigen Weggefährten Larry Campbell und Charlie Sexton klingt
wirklich oft nach "elektronischer Grütze". Es mäandert nicht nur im
Mittelteil der Lieder zwischen kürzelhaften Licks und minimalistischen
Harmonien umher, und oft lassen sich aus den Griffbrettern in den
vorsätzlichen Nichtsoli keine Funken schlagen. Dann bleibt es in diesen
ironisch wirkenden Blues-Jam-Sessions bei einem Pochen, Klopfen und
spröden Zupfen der Instrumente.
Seine "Fender Stratocaster" - wie
ein Maschinengewehr im Anschlag - zielt die ganze Zeit über zu Boden. So
als suche Dylan dort nach irgendwelchen kleinen Kreaturen, die ihm seine
Kunst der Körnigkeit streitig machen könnten. Doch in den besten Momenten
des Konzerts, etwa im hämisch-heroischen "Masters Of War" oder in dem
gespenstisch-fahlen "Love Sick", gelingt es Dylan, die sprachähnlichen
Sounds seiner sechs Stahlsaiten - Raunen, Wispern und Raspeln - mit dem
bebenden Klang seiner Gesangstimme zu verschmelzen. Einmal mehr gilt hier
John Lennons weise Einsicht aus dem Jahr 1970: "Du mußt nicht darauf
hören, was Bob Dylan sagt. Du mußt hören, wie er es sagt." Etwa in den
Live-Versionen der Songs von seinem letztjährigen Album "Love And Theft".
Wirken die Swingadaptionen in einigen Studioaufnahmen noch seltsam hölzern
und holprig, so kann das wunderschöne "Moonlight" im Konzert seine
Tiefenschärfe in aller Schwerelosigkeit entfalten. Dylan bettelt hier um
ein Treffen im Mondenschein und verliert sich dabei doch nie im
gefühlsseligen Phlegma. Mit winzigen Trippelschritten tänzelt er immer
wieder nach vorn an die Rampe, um eines seiner berüchtigten
Mundharmonikasoli zu exekutieren.
Was die Intonation seines Gesangs
angeht, so liegt er oft knapp daneben - das aber mit erstaunlicher
Treffsicherheit. Selbst im wütenden "Lonesome Day Blues" im Stil von Muddy
Waters reibt sich seine Stimme genüßlich an den klobigen, nur grob
behauenen Gitarrenriffs. Dylans Blues ist vom Staub der letzten fünf
Jahrzehnte bedeckt und droht darunter fast zu verschwinden. Und doch
wiegen die "Zeitpartikel" jedes Staubkorns tonnenschwer. Er singt die
alten-neuen Lieder über Macht, Reichtum, Wissen und Verrat heute so, als
schiebe er den Schutt der Vergangenheit vor sich her: Es ist ein wüster,
verlorener Sound, der seine Konzerte adelt. Heute, so scheint es, wirkt
Bobby, der ewige Bluessänger, mit seiner schonungslosen Melancholie
unzeitgemäßer denn je. Darin liegt zugleich seine beständige
Aktualität.
PETER KEMPER

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