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13. April 2002
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Immer auf Achse: Bob Dylan in Deutschland
 
Immer auf Achse: Bob Dylan erfindet in Berlin den Blues neu

Dylan und der Blues: Seit Jahren schöpft "His Bobness" aus dem Mythenvorrat der amerikanischen Volksmusik der dreißiger und vierziger Jahre. Und das nicht nur aus demonstrativer Gleichgültigkeit gegenüber allen zeitgenössischen Moden. Bob Dylan scheint sich heute jeder Zeitgenossenschaft verweigern zu wollen. Sein vorsätzlicher Atavismus, das Eintauchen in längst Vergangenes, das Verschwimmenlassen von Tradition und Zeitlosigkeit, das sind prägende Stilmerkmale geworden.

Schon immer war der Blues eine "Musik über Musik". Durch die orale Form der Überlieferung werden die alten Geschichten von Liebe, Betrug und Tod, von Elend, Wissen und Erlösung immer wieder neu, immer wieder anders erzählt. Der einzelne Bluesmusiker formt das Gehörte in seinem eigenen Sinn um, läßt etwas von der akustischen Vorlage weg, fügt anderes hinzu. Auch in dieser Hinsicht liefert der Blues für Bob Dylan heute eine Art "role model" für die Interpretation des eigenen Werks. Denn auch "Zimmermann der Maskenmann" singt seit Jahren seine alten Songs in immer neuen, oft irritierend verfremdeten Versionen. So wie ihm das Leben als "chaotisches Kaleidoskop" erscheint, sind ihm auch die Bestandteile der eigenen Lieder nur variable Mosaiksteinchen seines "work in progress".

Und noch in anderer Hinsicht wurde Dylan zum Prototypen eines Bluesmusikers: Blues war von Anbeginn an eine Begleitmusik der Vagabunden. Der fahrende Sänger, der sich an jedem Ort rast- und ruhelos neu erfindet, der trotz verzweifelter Flucht- und Suchbewegungen nie bei sich ankommt und die Heimatlosigkeit zur Existenzweise erhebt - dieses zentrale Bluesmotiv ist längst auch zur Signatur von Dylans Leben geworden. Nicht nur nomadisiert er mit verstörender Stimme durch seine Lieder, seine seit fünfzehn Jahren währende "Never Ending Tour" rund um den Globus scheint keine Grenzen und kein Ziel mehr zu kennen. "Ich fühle mich wie ein Mensch, der permanent durch die Ruinen von Pompeji wandern muß." Dylan macht einfach immer weiter, weil er nur in seiner riskanten Stimmperformance auf der Bühne - egal wo diese steht - für Momente so etwas wie künstlerische Ruhe und Gelassenheit zu finden scheint. Wer ihn jetzt in der Berliner "Arena", einer tristen Mehrzweckhalle am Spreeufer, erlebte, traf einen entschlossenen Stoiker. Im etwas stutzerhaft wirkenden Look eines Country-Gentleman dirigierte er sein Quintett souverän durch alle Untiefen von wahren Klischees und falschen Sentimentalitäten.

Mit grummelnder Grabesstimme zerdehnt er gleich zu Konzertbeginn erst einmal genüßlich einen Gassenhauer wie "The Times They Are A-Changin'". Auf solider Zweitonbasis mit immer wiederkehrenden Oktavsprüngen im Gesang dementiert er die hoffnungsfrohe Hymne in ihrem Optimismus und macht daraus einen würdevollen Talking-Blues. Immer wieder zielen die tastenden Einleitungen der Songs scheinbar ins Nirgendwo. Erst langsam kristallisieren sich die Strukturen der Stücke aus den Akkordverschachtelungen von drei Gitarren heraus. Schnell wird im Berliner Konzert klar, daß Dylan an diesem Abend seinem Klangideal, das er kürzlich mit "electronic grid" umschrieb, nahekommt. Sein Zusammenspiel mit den langjährigen Weggefährten Larry Campbell und Charlie Sexton klingt wirklich oft nach "elektronischer Grütze". Es mäandert nicht nur im Mittelteil der Lieder zwischen kürzelhaften Licks und minimalistischen Harmonien umher, und oft lassen sich aus den Griffbrettern in den vorsätzlichen Nichtsoli keine Funken schlagen. Dann bleibt es in diesen ironisch wirkenden Blues-Jam-Sessions bei einem Pochen, Klopfen und spröden Zupfen der Instrumente.

Seine "Fender Stratocaster" - wie ein Maschinengewehr im Anschlag - zielt die ganze Zeit über zu Boden. So als suche Dylan dort nach irgendwelchen kleinen Kreaturen, die ihm seine Kunst der Körnigkeit streitig machen könnten. Doch in den besten Momenten des Konzerts, etwa im hämisch-heroischen "Masters Of War" oder in dem gespenstisch-fahlen "Love Sick", gelingt es Dylan, die sprachähnlichen Sounds seiner sechs Stahlsaiten - Raunen, Wispern und Raspeln - mit dem bebenden Klang seiner Gesangstimme zu verschmelzen. Einmal mehr gilt hier John Lennons weise Einsicht aus dem Jahr 1970: "Du mußt nicht darauf hören, was Bob Dylan sagt. Du mußt hören, wie er es sagt." Etwa in den Live-Versionen der Songs von seinem letztjährigen Album "Love And Theft". Wirken die Swingadaptionen in einigen Studioaufnahmen noch seltsam hölzern und holprig, so kann das wunderschöne "Moonlight" im Konzert seine Tiefenschärfe in aller Schwerelosigkeit entfalten. Dylan bettelt hier um ein Treffen im Mondenschein und verliert sich dabei doch nie im gefühlsseligen Phlegma. Mit winzigen Trippelschritten tänzelt er immer wieder nach vorn an die Rampe, um eines seiner berüchtigten Mundharmonikasoli zu exekutieren.

Was die Intonation seines Gesangs angeht, so liegt er oft knapp daneben - das aber mit erstaunlicher Treffsicherheit. Selbst im wütenden "Lonesome Day Blues" im Stil von Muddy Waters reibt sich seine Stimme genüßlich an den klobigen, nur grob behauenen Gitarrenriffs. Dylans Blues ist vom Staub der letzten fünf Jahrzehnte bedeckt und droht darunter fast zu verschwinden. Und doch wiegen die "Zeitpartikel" jedes Staubkorns tonnenschwer. Er singt die alten-neuen Lieder über Macht, Reichtum, Wissen und Verrat heute so, als schiebe er den Schutt der Vergangenheit vor sich her: Es ist ein wüster, verlorener Sound, der seine Konzerte adelt. Heute, so scheint es, wirkt Bobby, der ewige Bluessänger, mit seiner schonungslosen Melancholie unzeitgemäßer denn je. Darin liegt zugleich seine beständige Aktualität.

PETER KEMPER
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.04.2002, Nr. 86 / Seite 44
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